Im "Jahrbuch 2013" der evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung
erschien kürzlich ein Bericht von Dorothee Petersen, über einen bewegten Seminartag. Wir
veröffentlichen den Beitrag hier mit freundlicher Genehmigung von Autorin
und Verlag, von uns ergänzt durch Links und Screenshots der Actionbound-App.
München im April 2013. Jugendliche begeben sich auf die Spuren
des Nationalsozialismus im 2. Weltkrieg. Sie kommen an Gedenkstätten vorbei, sehen den Ort, an dem einmal eine Synagoge
stand, bevor sie von den Nationalsozialisten abgebrannt wurde,
lesen an Denkmälern die Namen ermordeter Juden und landen
unerwartet – mitten in München – in einer rechtspopulistischen
Kundgebung. Fremdenhass, Ausgrenzung und menschenverachtende Propaganda sind plötzlich harte Realität.
Es ist die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei „Die Freiheit“, die mitten in der Münchner Fußgängerzone steht und Unterschriften gegen einen Moscheebau in der Landeshauptstadt sammelt, indem sie den islamischen Glauben für Krieg und Hass in der Welt verantwortlich macht. Die Jugendlichen sind irritiert und empört, aber auch hilflos. Es folgen Gespräche über persönliche Erfahrungen mit Rassismus im Alltag, in der Schule oder den Sozialen Netzwerken. Was kann man am besten dagegen tun? Was sind geeignete Handlungsstrategien?
Erinnerungsarbeit mit dem Smartphone
Diese einprägsame Erfahrung von der Verknüpfung von Damals
und Heute ist geradezu symbolisch für die Methode, mit der dies ermöglicht wurde. Die Jugendgruppe war nämlich mit der Handy-App
„Actionbound“ auf den Spuren des Nationalsozialismus unterwegs.
Gesellschaftspolitische Jugendbildung hat den Auftrag zur Demokratiebildung, damit junge Menschen als kritische, informierte, weltoffene und demokratische Bürgerinnen und Bürger heranwachsen.
Der Ausspruch „Wer die Geschichte vergisst, ist dazu verdammt, sie
zu wiederholen“ macht deutlich, dass Erinnerungsarbeit ein wichtiges Format der Demokratiebildung sein kann. Jedoch ist es meist eine Herausforderung, Jugendliche für eine Veranstaltung oder Aktion zum Themenkomplex Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit zu begeistern. Als Grund dafür wird allzu oft
der Lehrplan in der Schule genannt, der offensichtlich das Thema im
Übermaß behandelt und die jungen Menschen zu keiner weiteren aktiven und neugierigen Auseinandersetzung anregt. Bei der Konzeption des Seminartags gemeinsam mit einer Kollegin der Evangelischen
Jugend München stand demnach im Vordergrund, ein jugendgerechtes Format zu entwickeln, das zu einer Auseinandersetzung mit dem
Themenkomplex Rechtsextremismus führt. Was liegt da näher, als
„irgendetwas mit dem Handy“ zu machen? Meine Kollegin kannte
die App „Actionbound“ und so entstand die Idee, eine historisch-politische Stadtführung durch München zu entwickeln, die spielerisch
und interessant zu einer Auseinandersetzung mit einem altbekannten und doch hochaktuellen Thema führt.
Die eintägige Veranstaltung hatte zum
Ziel, Jugendliche aus Nürnberg und
München zu vernetzen, zu informieren
und sie (im Idealfall) zu aufmerksamen,
aktiven und engagierten Bürgerinnen
und Bürgern gegen Rechts zu bilden.
Der Seminartag war aufgeteilt in einen
praktisch-historischen und einen theoretisch-dialogischen Teil. Zunächst also
begaben sich die Teilnehmenden bei
der „App-Stadtführung“ durch die Bayerische Hauptstadt auf die Spuren des
Nationalsozialismus vorbei an Orten,
die im Dritten Reich eine wichtige Rolle
gespielt haben – sei es für die Nationalsozialisten oder die Menschen im Widerstand. Im zweiten Teil reflektierten sie
das Erlebte, wobei dies in den Kontext
der gegenwärtigen Situation in Deutschland gestellt wurde. Im gegenseitigen
Austausch konnten dann Ideen zu geeigneten Handlungsstrategien gegen
rechtsextremistisches Gedankengut diskutiert werden.
Die „Bestückung“ der App und die praktische Durchführung
Es wird ersichtlich, dass bei unserer Veranstaltung – stärker als bei dem
vorhergehenden Beispiel von Michael Grunewald – die thematische
und nicht die technische Auseinandersetzung mit der App im Vordergrund stand. Daher kümmerten wir uns als Bildungsreferentinnen
um die Auswahl und Eingabe der Orte, Informationen, Aufgaben und
Fragen in das App-Format (siehe Beispiel unten). Wie oben bereits
beschrieben, ist das Überzeugende an der App ihre unkomplizierte
Bedienung. Einmal registriert kann man seine eigene Stadtführung –
ähnlich aufgebaut wie eine Schnitzeljagd – erstellen. Für Jugendliche
und Privatpersonen ist „Actionbound“ übrigens kostenlos. Für Institutionen und Unternehmen wird eine Gebühr erhoben.
Ein Beispiel für eine Station dieser historisch-politischen Stadtführung:
Nach richtiger Beantwortung der Frage, führt die App die Jugendlichen zur nächsten Station. Beim Seminartag in München waren zwei
Jugendgruppen mit der App unterwegs. Um zu verhindern, dass sie
parallel laufen, sollte jede Gruppe zum ersten Ort mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln kommen, was verschieden lange Zeit in Anspruch nimmt. Durch die zu lösenden Aufgaben an den jeweiligen
Stationen kann man die Stadtführung wie einen Wettbewerb anlegen, was die Motivation noch einmal steigern kann. Die Länge der
Stadtführung hängt ganz von der Fülle der Stationen und Aufgaben
ab, die bei der Bestückung der App eingegeben werden. Genauso
kann man auch eine Unterbrechung für ein gemeinsames Treffen einbauen. Dies hat sich in München sehr bewährt, weil die Jugendlichen
hier das oben geschilderte Erlebnis mit der Kundgebung der Partei
„Die Freiheit“ hatten und sie gemeinsam diese „Begegnung“ in einem Café diskutieren konnten. Zur Auswertung und weiteren Vertiefung trafen sich beide Gruppen und die Referentinnen wieder im
Gruppenraum am Ausgangsort.
Erwartungen und Reflexion der Teilnehmenden
„Ich find’s super, weil ich endlich mein Handy mal kennen lernen
kann.“ – Das war die ehrliche Antwort auf die Frage nach der Motivation einer Teilnehmerin für ihre Anmeldung. Und genau das war ja auch
die Hoffnung bei der Konzeption des Seminartags: Dass das Format so
reizvoll ist, so dass man sich vom schweren Thema nicht abschrecken
lässt. Andere Teilnehmenden äußerten dabei auch den Wunsch, ihre
Heimatstadt einmal mit anderen Augen zu sehen, verschiedene Orte
aufzusuchen und sich über deren Geschichte zu informieren, an denen
sie bisher nur unbewusst und unwissend vorbeigegangen sind.
Bei der Auswertung wurde deutlich, dass einige Teilnehmende glücklich waren, weil sie nun ein wenig mehr über ihr Handy Bescheid
wussten, denn tatsächlich herrschte bei einigen noch große Unkenntnis zur Anwendung von Apps. Wichtig war in diesem Prozess, dass
„Actionbound“ sehr leicht zu verstehen und zu bedienen ist. Das
Gruppenerlebnis beim gemeinsamen Unterwegssein und die dadurch
niedrigschwellige Möglichkeit der Begegnung und Kommunikation
erleichterte im Anschluss den intensiven und persönlichen Austausch
über Erfahrungen mit rassistischen Bemerkungen im Freundeskreis
oder in den Sozialen Netzwerken und über mögliche Handlungsstrategien. Das Ziel des Seminartags wurde also erfüllt: Die Jugendlichen
sind vernetzt und das unbequeme Thema Rechtsextremismus ist gesetzt und hat neugierig gemacht. Eine Rückbegegnung in Nürnberg
– auf Wunsch der Jugendlichen auch mit einer App-Stadtführung, die
sie selber bestücken wollen – ist bereits in Planung.
Wer den hier beschriebenen Bound einmal selbst spielen möchte, kann das gerne tun: http://actionbound.de/bound/Spumuc
Wie Kinder und Jugendliche an der Bounderstellung beteiligt werden können, lesen Sie im Beitrag "Die virtuelle und die reale Stadt: Stadterkundungen mittels Apps".
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