von Maximilian Schaffer – Justus-Liebig-Universität Gießen
Unsere alltägliche Umwelt steckt voller mathematischer Phänomene. Es gilt die unzähligen Muster, Strukturen, geometrischen Figuren und Körper sowie die mathematischen Größenbereiche zu entdecken, die sich in den uns bekannten Objekten verstecken. Grundschulkinder kennen ihr Schulgebäude wie ihre linke Westentasche, doch die innewohnenden mathematischen Aspekte bleiben so lange verborgen, bis diese zum Lerngegenstand an konkreten Objekten gemacht werden. Auf eine mathematisch-digitale Schnitzeljagd mit der App ‚Actionbound‘ haben sich Schülerinnen und Schüler einer dritten Klasse der Grundschule Werdorf begeben, um das eigene Schulgelände aus der mathematischen Perspektive neu zu entdecken.
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Actionbound ist der Name einer Webanwendung, die die Möglichkeit bietet, eine virtuelle Schnitzeljagd zu gestalten, bei der verschiedenste Aufgaben erledigt werden müssen. Der Begriff ‚Bound‘ wird dabei als Bezeichnung für die selbst gestaltete Schnitzeljagd verwendet, die auf der Internetseite
www.actionbound.com
erstellt und mit der hauseigenen App für iOS und Android durchgeführt werden kann.
Actionbound wird bisher im schulischen Umfeld und besonders in der Primarstufe noch kaum genutzt. Erste Erfahrungen zeigen, dass verschiedene Themenbereiche einzeln oder in Kombination miteinander vertieft werden können. Dabei kann sehr gut an das Alltagsleben der Schülerinnen und Schüler angeknüpft werden. Es bietet sich an, die nähere Umgebung wie zum Beispiel den Klassenraum, das Schulgebäude, den Pausenhof oder auf einem Ausflug die Stadt unter mathematischen Aspekten zu erkunden. Besonders geeignet sind bei der Erkundung des Umfeldes die unterschiedlichen Größenbereiche1. Sowohl das Fokussieren auf einen Größenbereich(1), aber auch die Kombination von mehreren Größenbereichen haben ihren Reiz (s. dazu Schreiber & Schulz 2017).
Hat man sich auf der Internetseite erfolgreich registriert, kann mit der Erstellung des Bounds im Browser am PC oder Tablet begonnen werden. Zunächst müssen allgemeine Einstellungen verwaltet werden. Die Ersteller geben hier an, ob ihr Bound in einer Gruppe oder individuell und in beliebiger oder linearer Reihenfolge absolviert werden soll. Ob der Bound öffentlich zugänglich sein wird oder nur mit Hilfe eines Passwortes gestartet werden kann, muss ebenfalls eingestellt werden.
Für die Gestaltung des Inhaltes stehen den Erstellern verschiedene Aufgabenformate zur Verfügung, die sie in ihren Bound einbauen können. Unter anderem sind dies reine Informationsseiten, welche zum Beispiel Anweisungen oder wissenswerte Fakten enthalten, Turniere, bei denen die Mitglieder einer Gruppe beispielweise in einer Runde ‚Schere-Stein-Papier‘ gegeneinander antreten, Umfragen oder auch Suchaufgaben, welche wahlweise durch das Finden einer spezifischen Koordinate oder eines spezifischen QR-Codes gelöst werden. Besonders lohnenswert ist sowohl die Einbindung von Quizfragen, in welchen die Schülerinnen und Schüler die richtige Antwort eingeben müssen, nachdem sie sich mit einer konkreten Fragestellung auseinandergesetzt haben, als auch von verschiedenen Eingabeformaten, die auf besonders kreative Weise durch Aufnehmen von Fotos, Videos und Sprachaufnahme gelöst werden können. Mehrere dieser Aufgabenformate erlauben die Vergabe von Punkten bei richtiger Beantwortung der Aufgabe, sodass ein lernförderlicher Wettkampfcharakter innerhalb der Lerngruppe entsteht.
Zur Bewältigung der digitalen Schnitzeljagd wird pro Gruppe ein Tablet oder Smartphone mit der vorinstallierten App und dem geladenen Bound benötigt. Der Bound wurde in diesem Fall vorgeladen, da die Schule – wie fast alle deutschen Grundschulen – über kein offenes WLAN-Netz für Lehr- und Lernprozesse verfügt, welches allerdings zum Starten und Beenden des Bounds benötigt wird. Die Endgeräte sollten möglichst eine GPS-Funktion besitzen, da das Tracken von Orten eine beliebte Funktion in vielen Bounds ist. Heutige Smartphones und Tablets besitzen aber alle GPS. Neben dem digitalen Gerät steht jeder Gruppe zudem eine Kiste mit einem 50cm-Lineal, einem 2m-Zollstock und einem 30m bzw. 50m langen Maßband zur Verfügung. Die Tablets wurden für die Durchführung des Bounds in Kinderschutzhüllen mit Handgriff gesteckt, um die Geräte während der Messvorgänge zu schützen.
Foto: Maximilian Schaffer
Für die Durchführung eines Actionbounds im schulischen Bereich haben sich die Bounds, welche in einer Kleingruppe von drei bis vier Schülerinnen und Schüler absolviert werden, als besonders geeignet erwiesen. Die Aufgaben des Bounds sollten vom Umfang und von der Komplexität so gewählt sein, dass die Kinder – je nach eigenen Kompetenzen – Rollen wie ‚Lesende‘, ‚Messende‘ und ‚Chefs‘ ausbilden müssen und sich so ganz individuell in den Gruppenprozess mit einbringen, um den Bound in der vorgegebenen Zeit absolvieren zu können.
Die Selbstständigkeit der Lernenden soll durch die Integration des Actionbounds in den Unterricht gefördert werden. Das unmittelbare Feedback nach der Bearbeitung einer Aufgabe führt zur Reflexion und Diskussion der Eingabe. Geeignete Größenvorstellungen im Bereich Längen sollen durch die ständige Kopplung von eigenen Schätzungen und dem tatsächlichen Akt des Messens aufgebaut und erweitert werden. Neben wichtigen zu erwerbenden Sozialkompetenzen wird natürlich auch der Umgang mit dem technischen Artefakt gefördert.
Im Folgenden wird ein gemeinsam mit Kristina Schulz durchgeführter Bound präsentiert (https://actionbound.com/bound/jlumathedidaktikgswerdorf6761). Dieser behandelt den Größenbereich Längen und wurde zu Beginn des dritten Schuljahrs in einer Klasse mit besonders heterogener Schülerschaft durchgeführt. Viele der verwendeten Aufgaben können in den meisten Schulen aufgegriffen, müssen aber individuell adaptiert werden.
Zu Beginn wurden von der Lehrkraft leistungsheterogene Gruppen mit jeweils drei Schülerinnen und Schülern gebildet. Alle kannten Tablets bereits aus ihrem privaten Umfeld, wobei der Einsatz von Tablets im Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler neu war. Da die Gruppen bei der Bearbeitung des Bounds auf sich alleine gestellt sind, erfolgte eine intensive Vorbesprechung mit der gesamten Klasse. Eine Testaufgabe wurde gemeinsam bearbeitet, welche dieselbe Struktur wie die anschließenden Aufgaben aufwies. Damit wurde sichergestellt, dass die Aufgabenstellungen klar waren. Die Reihenfolge der fünf zu bearbeitenden Stationen konnte von den Gruppen frei gewählt werden, um mögliche Leerläufe durch lange Wartezeiten zu vermeiden. Zur Bearbeitung der fünf Stationen war eine Doppelstunde eingeplant.
Alle Stationen des Bounds sahen für die Bearbeitung der Aufgaben den gleichen Ablauf vor: Zunächst sollten (1) Längen geschätzt, dann mit (2) Körperteilen ausgemessen und zum Abschluss der jeweiligen Station (3) mit einem geeigneten Messgerät gemessen werden.
(1) Länge schätzen (2) Mit Körperteilen messen (3) Mit Messgerät messen
Im Klassenraum war die Länge eines Tisches zu ermitteln und im Schulgebäude ging es darum, die Länge des Aufgangs für Rollstuhlfahrer in der Aula zu bestimmen. Die drei verbleibenden Stationen waren auf dem Pausenhof zu finden. Es galt die Länge des Schulgebäudes, den Umfang eines Baumes und die Höhe des Klettergerüstes zu ermitteln. Beim Klettergerüst wurde auf das Ausmessen mit Körperteilen verzichtet, um Verletzungen zu vermeiden.
Die Lehrkraft hat nach Beendigung des Bounds die Möglichkeit, die Ergebnisse der einzelnen Gruppen auf der Internetseite einzusehen. Neben den erzielten Punkten können die Antworten der Aufgaben gezielt eingesehen und ausgewertet werden. Eine Besprechung der Antworten mit der gesamten Lerngruppe kann für den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler lohnend sein.
Einsicht der Antworten aus Sicht der Lehrkraft.
Den Gruppen ist gelungen, realistische Schätzungen von Längen bis 10 Meter zu tätigen. Bei längeren Strecken waren die Lernenden noch nicht in der Lage, diese realistisch abzuschätzen. Das Messen mit den Messgeräten ist einigen Gruppen schwergefallen. Auch wenn die Messungen nahe am richtigen Ergebnis gelegen haben, waren sie oft außerhalb des Kulanzbereichs. Das Problem war die Arbeit im Team. Durch fehlende Kommunikation in den Gruppen kam es zu Ungenauigkeiten in den Messvorgängen. In der Besprechung der Ergebnisse kamen schließlich Fragen auf wie Darf das Maßband verdreht sein? oder Muss das Maßband ganz gerade liegen?
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Nutzung der App Actionbound zur mathematisch ausgelegten Erkundung der Umwelt beitragen kann. Hierbei hat die Arbeit mit dieser App einen erkundenden und spielerischen Charakter. Dieser kann auch als Wettkampf sportlich umgesetzt werden. Gleichzeitig wird durch die Kooperation in den Gruppen auch die Sozialkompetenz gefördert. Durch den Einsatz von Tablets wird die Motivation der Schülerinnen und Schüler gesteigert.
Sehr schön zeigt sich hier außerdem, wie Apps bei Verwendung für unterrichtliche Zwecke den Schülerinnen und Schülern sinnvolle Tätigkeiten mit Smartphone und Co. nähergebracht werden. Es gibt viele Möglichkeiten, Apps und Programme kreativ für die Schule zu nutzen, auch wenn diese ursprünglich nicht für den Unterricht entwickelt wurden. Vor der ersten Durchführung eines eigenen Bounds wird eine Auseinandersetzung mit der Technik und ein Probedurchgang vor Ort empfohlen, um mögliche Fehler im Bound und mögliche Stolpersteine in der kommenden Durchführung zu entdecken. Allerdings lohnt sich die Mühe insofern, dass Bounds in allen Fächern und vielen denkbaren Projekten zum Einsatz kommen können und mit der Übung dann auch das Erstellen leichter von der Hand geht. Die geübte Erstellung eines Bounds dauert in etwa so lang wie ein gut vorbereiteter Unterricht mit herkömmlichen Materialien.
Schreiber, Ch. & Schulz, K. (2017) Actionbound – virtuelle Schnitzeljagd. Mathematische Aspekte in der Umwelt spielerisch entdecken. Mathematik differenziert, 1/2017, 22-25.
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